Der besondere Geist der ETL …

Erstellt von Beate Hanke

Lesen Sie hierzu die Gedanken des ehemaligen Theologischen Leiters und Gründers der ETL. Helmut Mayer (Pfarrer i. R.) gab tiefgreifende, impulsgebende Worte.

Liebe „der ETL-Verbundene“

„Bevor ich heiratete, hatte ich 6 Theorien über Kindererziehung. Jetzt habe ich 6 Kinder und keine Theorie.“ So lese ich bei einem englischen Schriftsteller. Als 4-facher Uropanicke ich betroffen und setze den bitteren Spruch dazu, „Dass man zu wenig Vater war merkt man leider oft erst als Opa“. Und jetzt soll ich als einer der Uropas der ETL etwas zum besonderen Geist dieses Hauses sagen. Na ja, In den 50 Lebensjahren unserer Tagungsstätte hab ich sie 20 Jahre geleitet und 30 Jahre begleitet und erlebt, wie aus dem Findelkind eine hübsche und attraktive Dame wurde. Dazu eine Hand voll Antworten.

 

Erste: ein besonderer Reiz ist ihre Geografie. Weit entfernt in der Pampa aber doch erreichbar. Einmalige Lage über dem Weinsberger Tal. Am Kamm des Hügels, als Krönung der Weinberge. Mit fantastischem Fernblick. Wie es zu diesem Standort kam? Vor rund 60 Jahren suchte der damalige Planungskreis einen geeigneten Bauplatz. Nach einem langem und ermüdendem Tag führte der Heilbronner Landrat die Gruppe an diesen Platz als einem der schönsten Aussichtspunkte im Unterland. Da erlebte die Gruppe einen Bilderbuch-Sonnenuntergang und die Herzen waren geschmolzen. Der Antrag auf Sonder-Baugenehmigung in diesem ausgewiesenen Schutzgebiet konnte gestellt werden. Damals gabs noch keinen Breitenauer See. Noch sprach man nicht von einer schwäbischen Toskana. Aber Heimchen zirpten im Erdgeschoss und Wildenten brüteten auf dem Fensterbalkon und watschelten im Gänsemarsch an den Gesprächsgruppen vorüber. Die Naturverbundenheit ist ein besonderer Reiz. Dazu kommt die Nachbarschaft zum Pflegeheim Lichtenstern und zur Geriatrie des Weinsberger Landeskrankenhaus auf dem Friedrichshof - mit diesen beiden bildet die Tagungsstätte einen kirchlich-diakonischen Dreiklang im Weinsberger Tal. Ein theologischer Akzent neben dem heimatkundlichen Flair.

 

Eine zweite Antwort auf die Frage nach dem besonderen Reiz unserer Tagungsstätte steckt im Wort Treffpunkt. Auf demTreffpunktAltenhau treffen sich die richtigen Leute. Da freut man sich auf das freundliche Personal, das die Gäste willkommen heißt. Da freut man sich auf die anderen anreisenden Gäste. Sind alte Bekannte darunter? Neue Gesichter? Freundschaften entstehen und werden gepflegt. Ein Treffpunkt von Menschen, die sich bewusst aufmachen, die sich trauen und sich öffnen. Sie bestimmen den Arbeits-Stil und den Tages-Rhythmus des Hauses. Wir verstanden unser Bildungshaus gewiss nicht als ein Depot der Wahrheit, wo die Lösungen stapelweise bereit liegen und nun mit Musik verteilt werden.

Die Mitarbeitenden in unseren Gemeinden waren und sind eine wichtige Zielgruppe. Im Jahr der Eröffnung trat eine neue Kirchengemeindeordnung in Kraft. „Gewählt – was nun?“ war ein gefragtes Thema. Arbeitsteilung war in. Der Kirchengemeinderat sollte die verschiedenen Zweige der Gemeindearbeit begleiten und animieren. Das Amt des Laienvorsitzenden wurde entdeckt. Die einen weinten, andere griffen zu. In den ersten zehn Jahren gehörte zu jedem Wochenende für Kirchengemeinderäte eine Einheit Gesprächskunde! Mit Gesprächstechnik konnte viel geholfen werden. Dauerredner. Wortmeldung. Antrag zur Geschäftsordnung. Rednerliste. Umgang mit Minoritäten. Motivierung von Schweigern. Am Thema bleiben. Wer bekommt das Schlußwort? Vom ersten Architekten-Entwurf an war den Tagungsräumen je eine Sitzgruppe im Grünen zugeordnet. Diese ist kreisförmig gestaltet und betont das Gespräch in der Runde. Lustige Zeichnungen karikierten das Gesprächsverhalten – ob wir mit unseren Worten die Partner einfangen, einsacken und als Besiegte wegschleppen oder ob wir die eigenen Gedanken und Erkenntnisse als Teilstücke verstehen, die zusammen mit denen der anderen ein Werkstück ergeben, das man wie ein Mosaikbild nach Hause bringt. Mit den Regeln für Gesprächsleiter übten wir im vorparlamentarischen Raum und hatten viel Spaß. Dies erlebten wir mit allen Lebensaltern, bei Senioren oder Hausfrauen, Vereinsaktivisten oder bei Einsamen: Die richtigen Leute treffen den richtigen Ton. Das gab ein Lernen mit Humor und ein Respektieren des anderen.

Freilich: Das geht nicht ohne Konflikte. Wenn Meinungen gegeneinander stehen, kommt es zu Konflikten. Wenn neue Aufgaben herausfordern, bleiben Konflikte nicht aus. Für mich ist das die dritte Antwort auf die Frage nach dem besonderen Geist: er hilft uns lernen, mit Konflikten zu leben.  Der besondere Geist unseres Hauses macht konfliktbereit. Strittige Meinungen wurden nicht unter den Teppich gekehrt. Konflikte werden offen angesprochen; dabei riskiert man, dass sich Kontrahenten verletzen. Auf einer Tagung hat man Zeit für einander, auch Zeit zum Aushalten von Gegensätzen. Man lernt verstehen, warum der andere so denkt und lernt Respekt vor seiner Meinung. Prälat Bilger erzählte von einer Visitation. Ein Kollege klage: „Auf dem Altenhau wird man aufmüpfig gemacht“. Keine bessere Anerkennung unsrer Arbeit, antwortete spontan Heinz Schnotz. 

 

Die Militärseelsorger kamen mit Soldaten. Zu uns Mitarbeitenden gehörten Zivis, also Wehrdienstverweigerer. Das sieht aus wie geplante Konfliktbewältigung. Das konnte sogar witzig sein, wenn ein Militärpfarrer ein Exponat gegen den Krieg aus der Kapelle raustrug, weil Protestanten keine Götzenbilder haben. Gemeinsame Familien-Freizeiten und Referentenaustausch halfen Konflikte zu bewältigen.

 

Niemand fällt es leicht, von seiner lange gehegten und gepflegten Einstellung abzuweichen. Ist jedoch die Auseinandersetzung sachlich und fair, wird man bereit, auch zu schlucken und einzustecken, nicht nur auszuteilen. Dann kann man auch an heiklen Sachverhalten dran bleiben. So kann man Gemeinschaft der Heiligen erleben, indem man Konflikten nicht ausweicht. Eine Tagung ist ja kein Durchgangs-Kloster für Menschen, die sich vom Berufsleben zurückziehen wollen, die Stille Zeit suchen. Eine Tagung ist konzentrierte Zeit, ein gebündeltes Engagement fürs Leben. Wer hier herkommt will nicht seinen Wissensradius vergrößern, sondern will sich selbst, die Gesellschaft und die Welt besser verstehen und diesem Verständnis gemäß auch handeln.

 

Die  4. Antwort  auf die Frage nach dem besonderen Reiz unserer Tagungsstätte holt weit aus. Meine Frau mahnte „Vergiß nicht die Musen“. Ja, die schönen Künste und das befreiende Lachen sind Markenzeichen für den Reiz unserer Tagungsstätte. Mit der ersten Tagung wurde 1971 auch die erste Kunstaustellung eröffnet. Der Gang um den Brunnenhof erwies sich als sehr geeignet für Ausstellungen. Diese brachten Farbe ins Haus und ein Spannungs-Potential. „Was gibt es jetzt zu sehen?“. Jedes Gehen durchs Haus kann eine Begegnung mit der ausgestellten Kunst sein. Manches Exponat wurde in der Morgenandacht meditiert. Unvergessen der Künstlerpfarrer Monsignore Sieger Köder. Zur Ausstellung zu seinem 60. Geburtstag kamen Gemeindegruppen, Schulklassen, Jahrgänge und Kunstvereine.

Mit Freude denke ich an die Musischen Sommerakademien. Literatur-Lesungen, Batiken, Töpfern, Textil-Puppen, Episoden-Quiz oder Fotografieren, auch Weinproben führten neue Interessgruppen ins Haus. Mit ihnen kam auch Gerhard Hofmeister und seine Literaturtage. Die Ikonenwerkstattmit Hans JürgenVeigel zieht Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet an.

Auch ein Musenkuss: Mit dem Cartoon-Service hatten wir eine Löwensteiner Spezialität. Wir suchten Karikaturen die Gespräche einleiteten. Schmunzelnd wurden Hemmungen überwunden und Konflikte angepackt. Diese stachelige Muse war ein Arbeitszweig, der mir persönlich besonders gefiel – der aber mit meinem Ruhestand endete.

Das gleiche Schicksal erlitt die Mundartpredigt, gelegentlich in der Fasnet-Ferienwoche angeboten. Ein Teilnehmer an einer Mundart-Tagung  hielt an einem Aschermittwoch die Morgen-Andacht, natürlich auf schwäbisch. Ein Teilnehmer aus einer anderen Gruppe, ein kritischer Beobachter unserer Tagungsarbeit, kam nach der Andacht auf mich zu: „Was ihr Löwensteiner alles zu Wege bringt. Jetzt findet ihr diesen treuherzigen und schlichten Bauer von der Alb ra, der so eindrücklich seinen Glauben bezeugt“. Der Herr Dr. war nicht wenig erstaunt zu hören, dass dieses schlichte Bäuerle niemand anders war als der frühere Landesjugendpfarrer und damalige Dekan in Göppingen Frieder Mörike.

Rund 50 Löwensteiner Briefe berichten von Tagungen, von den verschiedensten Themen und Ergebnissen. Sie waren ein Versuch, das Tagungsgeschehen stärker mit der Gemeindearbeit zu verbinden. Zur Blütezeit wurden diese Briefe an alle gewählten Kirchengemeinderäte der tragenden Bezirke und an interessierte Tagungsteilnehmer verteilt. Ein Riesenaufwand an Zeit und Finanzen. Stefan Feyerabend, viele Jahre Vorsitzender unseres Kuratoriums, war fachkundiger Berater. Die Berichte von Gemeindetagungen lockten andere Gemeinden, eine eigene Tagung zu planen.

Die Hand wird voll Hand mit der 5.Antwort: für mich und für viele das wichtigste. Das Löwensteiner Bibelseminar. Sie wardas Herzstück unserer Bildungsarbeit. Angeboten war je ein Zyklus von 7 Wochenenden. Ich erinnere an Dr. Klaus W. Müller („double ju“ nicht vergessen), der uns mehrere Jahre begleitete, auch an unserer ersten Israel-Reise teilnahm und mit uns auf den Spuren des Apostel Paulus in Kleinasien und Griechenland war. Zum Bibelseminar gehörte auch die Geselligkeit der Abende und jährlich eine wissenschaftliche Studienreise. Diese wurde meist mit mehreren Tagungen vorbereitet. Entdeckungen und Reise-Erlebnisse führten zu Themen für nachfolgende Tagungen. So entstanden Tagungsreihen, die sich ergänzten und wuchs ein lebendiger Kreis von Bibelseminaristen, die auch in ihren Ortsgemeinden aktiv waren und sind.

Das war meine Hand voll Reize. Sicher: im Rückblick verklärt. Aber auch gekürzt! Noch eine Erinnerung. Vor 51 Jahren. Eröffnungstagung. Meine erste Morgenandacht war gut vorbereitet. Auf dem kurzen Herweg drängte sich mir eine andere biblische Erzählung auf:  Die auserwählten Jünger hatten abseits auf einem hohen Berg großartige Visionen. Sie fühlten sich wohl: „Es ist gut dass wir hier sind“. Sie hätten gerne Hütten gebaut. Für Jesus eine. Und für seine Heiligen je eine. Aber dann sahen sie nichts als Jesus allein. Und sie gingen mit ihm hinunter vom Berg, zu den Menschen und erzählten weiter…. Dies musste ich sagen und wünsche mir seither, dass von diesem Berg stets eine lebendige Kraft ausgeht in unsere Hütten im Tal. Für mich der besondere Reiz unserer Tagungsstätte.

Helmut Mayer, 15. Juli 2022

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